[1] <1,1> Woher, Mäcenas, mag es kommen, dass mit seinem selbsterwählten oder vom Geschick ihm zugeworfnen Lose niemand sich begnügt, und jeden, der auf einem andern Pfade das Glück verfolgt, für neidenswürdig hält? [2] Wie glücklich ist der Kaufmann!« ruft ein alter von vieler ausgestandner Not und Arbeit <1,5> gebrochner Krieger aus; der Handelsmann hingegen, dessen Schiff in Stürmen treibt, preist den Soldatenstand – "Was ists denn auch? [3] Man trifft zusammen, und in einem Stündchen ists entschieden, Siegeswonne, oder rascher Tod! [4] Der Advokat, wenn sein Klient beim Ruf des frühen Hahns ihn aus dem Schlafe pocht, lobt sich des Landmanns Leben, während dieser, wenn ein Termin zu ungelegner Zeit aus seiner Wirtschaft in die Stadt ihn zieht, die Städter für die einzigen Glücklichen auf Erden ausruft. [5] Dies durch alle Klassen und Stände fortzuführen würde selbst den Schwätzer Fabius ermüden. [6] Also, um dich nicht aufzuhalten, höre gleich <1,15> wo ich hinaus will. [7] Wenn ein Gott nun käm' und spräche: "Gut, ich will euch geben was ihr begehrt; du, Krieger, sollst ein Kaufmann, du, Rechtsgelehrter, sollst ein Bauer sein! [8] Fort, tauschet eure Rollen! [9] Nun? was zaudert ihr? [10] So würde keiner wollen. [11] Und sie konnten doch <1,20> so glücklich werden! [12] Wäre solches Volk nicht wert, dass Zeus mit beiden aufgebausten Backen sie grimmig ansäh' und sich rund erklärte, er wolle nicht so zahm mehr sein, die Ohren zu albernen Gebeten herzuleihen? [13] Doch, – um nicht nach der Possenspieler Weise <1,25> mein ganzes Stück in diesem Ton zu geben, (Wiewohl, wer wehret uns die Wahrheit lachend zu sagen? so wie milde Pädagogen die kleinen Zöglinge durch Honigplätzchen zum Abc verführen) – Lass uns jetzt von einer ernsten Sache ernsthaft sprechen. [14] Der Pflüger, der sichs sauer werden lässt sein Feld zu bau'n, der hinterlist'ge Krämer3), <1,30> der Kriegsmann, und der Schiffer, den Gewinnsucht durch alle Meere jagt, versichern alle, sie unterziehen sich so vieler Plage bloss um einst, im Alter, ihres Lebens noch in Ruhe froh zu werden, wenn sie erst fürs Brot gesorgt: so wie die Ameis, (ihr gewöhnlich Beispiel) – ein so kleines Tierchen, und doch an Fleiss so gross! – in ihrem Munde herbeischleppt was sie kann und ihrem Haufen zuträgt, um auf die vorgefühlte Zukunft sich <1,35> bei Zeiten zu versorgen. [15] Gut! wenn aber aus seinem umgestürzten Kruge nun der Wassermann die traur'ge Jahrszeit schüttelt, kriecht sie nicht mehr heraus, und ist so weise mit dem Erworbnen gütlich sich zu tun4): da dich hingegen weder Sonnenglut noch Winterfrost, noch Sturm noch Schwert und Feuer vom Wucher abzubringen je vermag, <1,40> nichts dich erschreckt, wenn nur kein andrer reicher wird. [16] Wozu der ungeheure Haufen Gold und Silber, wenn du furchtsam, wie gestohlnes Gut, ihn in die Erde scharrst? [17] Du sprichst: »Er müsste, wenn täglich was hinweggenommen würde, zum Pfenning endlich doch herunterschmelzen. [18] Doch, nimmst du nichts, was wäre denn noch Schönes <1,45> an deinem Haufen? [19] Hätten deine Tennen auch hundert tausend Scheffel ausgedroschen, dein Magen wird darum nicht mehr als meiner fassen: wie, unter einem Trupp von Sklaven, der den Brotsack trägt darum kein grösser Stück empfängt. [20] Und was verschlägt es dem, der innerhalb der Grenzen der Natur lebt, ob er hundert, ob tausend Morgen ackert? [21] O! es ist doch angenehm von einem grossen Haufen zu nehmen", sagst du. [22] Wenn du uns erlaubst von unserm wenigen soviel zu nehmen als du von viel, so seh ich eben nicht was deine Böden dir mehr helfen sollten als unsre Kasten uns. [23] Es ist, als wenn <1,55> du einen Kübel oder Becher Wassers brauchtest, und sprächst: ich möchte doch aus einem grossen Fluss ihn lieber als aus diesem Quellchen füllen. [24] Da kömmts dann gerne so, dass einen, der an grösserm Überfluss, als recht ist, Freude hat, der schnelle Waldstrom samt dem morschen Ufer davon führt: da hingegen, wer nicht mehr begehret als das bisschen was er braucht, <1,60> dafür auch weder leimicht Wasser trinken noch einen nassen Tod befürchten muss. [25] Allein, ein guter Teil der Menschen, angekörnt von falscher Gierde6), spricht: »Nichts ist genug! [26] Was einer hat das gilt er, und nicht mehr! [27] Was ist mit solchen Leuten anzufangen? [28] Lass sie doch elend sein, wofern sie es so gerne sind: Denn manchem gehts vielleicht wie jenem reichen Knauser zu Athen), <1,65> der, wenn er hörte wie man in der Stadt von seinem Geize spreche, naserümpfend zu sagen pflegte: immer zische mich der Pöbel aus, ich klatsche desto mehr mir selbst zu Hause, wenn ich meine Füchse in der Kiste betrachte. [29] Tantalus schnappt ewig dürstend dem Wasser nach, das seine dürren Lippen vorbeifliesst Wie? du lachest? [30] Ist die Fabel nicht unter anderm Namen deine eigene <1,70> Geschichte? [31] Da du über deinen Säcken, mit allenthalben hergescharrtem Golde gefüllt, unruhig und halbwachend schlummerst, genötigt, sie wie Heiligtümer sorgsam zu schonen, oder nur, wie an Gemälden, die Augen dran zu weiden? [32] Weisst du denn nicht was das Geld gilt? [33] Nicht wozu es gut ist? [34] Dass Brot, Gemüse und ein Quärtchen Wein <1,75> dafür zu haben ist, und manches andre was sich die menschliche Natur nicht gern versagen lässt? [35] Wie? sollte dir's soviel Vergnügen machen, Tag und Nacht, entseelt vor Angst und ohne Schlaf, vor Dieben und Feuersbrünsten dich zu fürchten, und vor deinen eignen Sklaven, dass sie dich nicht überfallen, und mit deinem Gelde davon gehn? [36] O! wenn Reichtum uns nichts Bessers zu geben hat, so wünsch' ich bettelarm zu sein! [37] Doch – wenn ein Fieber oder sonst ein Zufall dich aufs Lager heftet, hast du für dein Geld doch jemand wenigstens der bei dir aufsitzt, dir warme Tücher umschlägt, und den Arzt beschwört dich zu erhalten und den lieben Deinen wieder zu schenken? [38] Umgekehrt! [39] Dein Weib, dein Sohn <1,85> sind Feinde deines Lebens; Nachbarn und Bekannte, Bübchen und Mädchen, wünschen dir den Tod. [40] Und darfst du dich's noch wundern lassen, du, dem seine Kasse über alles ist, wenn niemand eine Liebe, die du nicht verdienen magst, dir schenket? [41] Meinest du, Verwandte, welche die Natur dir ohne dein Zutun gab, an dich zu ziehen und <1,90> zu Freunden dir zu machen, wäre so verlor'ne Müh', als wenn du einen Esel die Schulen lehren wolltest? [42] Kurz, des Scharrens muss doch einst ein Ende sein. [43] Je mehr du hast, je minder darf vor Dürftigkeit dir grauen. [44] Du hast nun was du giertest: lass es dann dabei bewenden, dass dirs nicht zuletzt <1,95> wie dem Ummidius ergehe, dessen Geschichte, weil sie kurz ist, ich dir doch erzählen muss. [45] Der Mann war, wie man sagte, so reich, dass er sein Geld mit Scheffeln mass, und auch so filzig, dass er nie sich besser als seine Sklaven kleidete. [46] Bis an sein Ende war Hungers sterben seine einz'ge Furcht. [47] Was meint ihr dass sein Ende war? [48] Sein liebes getreues Kebsweib, ehmals seine Sklavin, hieb ihm, wie eine zweite Klytemnestra, mit einer Zimmeraxt den Kopf entzwei. [49] Wohlan! [50] Was soll ich tun? ein Mänius, ein Nomentanus werden? [51] Also immer von einem Äussersten zum andern! [52] Um kein Filz, muss man ein Taugenichts, ein Schlemmer sein! [53] Vom glatten Tanais zum Schwiegervater Visells, liegt, denk' ich, etwas in der Mitte. [54] Halt Mass in allem, denn in allem gibt's ein Mittel, dessen Linie das Rechte bezeichnet; dies- und jenseits wird gefehlt. [55] Ich kehre nun dahin zurück, woher ich ausging: nämlich, dass, dem Geiz'gen gleich, niemand mit seinem Los zufrieden ist, nur jene lobt, die einen andern Weg <1,110> im Leben gehn, wenn eines andern Ziege mehr Milch gibt, gleich die Schwindsucht kriegen möchte, nie mit dem grossen Haufen Ärmerer sich misst, und diesem oder jenem stets zuvor zu kommen eifert, immer also dem reich zu werden Eilenden ein Reicherer im Weg ist: Wie, sobald das rasche Rennpferd aus den offnen Schranken <1,115> die Wagen reisst, der Wagenführer nur die Rosse, die den seinigen zuvor geflogen sind, zu überholen strebt, hingegen der zurückgebliebenen nicht achtet. [56] Daher also, dass der Mann so selten ist, der wohl gelebt zu haben versichert, und, vergnügt mit seinem Anteil, vom Leben wie ein Gast von einem Mahle, <1,120> gesättigt weggeht? [57] Soviel sei genug!