Das Otto-Lied. An die Äbtissin Gerberga. Der erhabenen Äbtissin Gerberga, welcher um ihrer ausgezeichneten Trefflichkeit willen ebenso sehr, wie wegen ihrer erlauchten Abkunft aus königlichem Geschlecht ehrfurchtsvolle Huldigung gebührt, Hrotsvith, die Nonne von Gandersheim, die niedrigste der niedrigsten, welche der Leitung einer so hoch ansehnlichen Herrin sich erfreuen, Ehrerbietung und Gehorsam. Die Ihr in strahlender Vielseitigkeit geistlicher Weisheit leuchtet, O Herrin mein, möchte doch Eure Huld sich herablassen zu besichtigen was, wie Ihr wisset, doch nur auf Euren Befehl ausgeführt ist. Ihr habt mir ja die schwere Aufgabe gestellt, in gefälligen Versen, die Ruhmestaten des Kaisers zu besingen, ohne dass ich meinen Stoff auch nur von Hörensagen hätte zur Genüge sammeln können. Welche Schwierigkeit sich mir, der mangelhaft berichteten, bei meinem qualvollen Streben entgegentürmte, könnt Ihr daran ermessen dass ich nicht in der Lage war auf eine schriftliche Bearbeitung meines Gegenstandes zurückzugreifen oder selbst irgendwo einen klaren und ausreichenden mündlichen Bericht zu erlangen. So heisst man einen unerfahrenen Wandersmann eine unbekannte Waldesweite betreten, wo Weg und Steg von dichtem Schnee verschleiert und verdeckt ist - und ohne Führer nur nach unbestimmter Weisung irrt er hier in unwegsamer Wüstenei umher, um unversehens auf die Spur des rechten Pfades zu geraten, bis er die Hälfte des Waldesdickichts durchmessen hat und endlich an einem Ort ersehnter Rast gelangt, wo er die Schritte hemmt, nicht willens, weiter vorzudringen es müsste denn ein Leiter ihm beschieden werden oder in die Stapfen eines andern zu treten ihm vergönnt sein. Das ist ganz meine Lage. Auf das mächtige Gebiet einer glanzvollen Geschichte gewiesen, habe ich das Gewirr königlicher Ruhmestaten wankend und schwankend in Mühsal durchwandert und erschöpft davon, mache ich verstummend an passendem Ort Halt, entschlossen nur mit besonderer Anleitung mich an die Erhabenheit kaiserlichen Tatesruhes zu wagen. Wenn mich nähmlich wohlredende Männer mit ihren gewandten Darstellungen, welche entweder schon geschrieben sind oder ohne Zweifel in Bälde geschrieben werden, ermutigen möchten, würde ich wohl auch einen Schleier für meine schlichte Einfalt erhalten. Jetzt aber bin ich in jeder Beziehung um so schutzloser als ich mich auf keinen Gewährsmann stützen kann; und ich fürchte auch darum, der Unbesonnenheit bezichtigt zu werden und vielfach den Schlingen des Spottes zu verfallen, weil ich mich unterfangen habe, mit meiner schlichten und ungebildeten Redeweise zu entweihen, was ganz anders, mit Beredsamkeit im Prunke geistvoller Feinheit auseinanderzusetzen war. Indessen wer bei der Prüfung seinen gesunden Verstand, welcher den rechten Massstab zu finden weiss, zu Rate zieht, der wird um so leichter zur Entschuldigung geneigt sein, je schwächer mein Geschlecht, je dürftiger meint Kenntnis ist, zumal ja doch kein Vorwitz auf meiner Seite ist, sondern ich nach Eurem Befehl die Hand an das Gewebe dieses Werkes zu legen begonnen habe. Doch warum fremdes Urteil scheuen, da ich einzig und allein vor Eurem Richterstuhle etwaige Fehler zu verantworten schuldig bin ? Und warum dem Spott verfallen müssen, da ich doch einzig und allein um Verschwiegenheit nachzusuchen habe ? Denn es hiesse freilich dem Tadel aller mich aussetzen, falls ich etwa eine für die Öffentlichkeit viel zu bedeutende Darstellung allgemein bekannt geben wollte. Eurem Urteil also und dem Urteil Eures vertrauten Freundes, dem ich nach Eurer Weisung dies Erzeugnis meiner Einfalt vorzulegen habe, des Erzbischofs Wilhelm nämlich, überlasse ich in Ergebung des Wahrspruch.